Adolf Hitler mit Miklós Horthy und Frau (Postkarte aus dem Verlag Wilhelm Stiewe) |
Der „ungarische Geist“ der nationalkonservativen „FIDESZ“-Partei
Von Karl Pfeifer
Rechtsextreme reagieren in Ungarn auf das Scheitern des Staatssozialismus und auf die radikalen Veränderungen in der Wirtschaft, die bei großen Teilen der Bevölkerung eine Identitätskrise verursachten, mit „bewährten“ Mitteln der Schuldzuweisung. Dazu dient das Anprangern von Minderheiten als Sündenböcke, das sich insbesondere gegen die ungarischen JüdInnen richtet. Nicht selten instrumentalisiert die extreme Rechte dabei das Christentum. Das Wort „ChristIn“ wird in Ungarn von vielen wieder – wie vor 1945 – als synonym für „NichtjüdIn“ verwendet. Und mancher christlicher Würdenträger stellt sich an die Seite der Rechtsextremen.
Antisemitismus findet sich in Ungarn jedoch nicht nur in der extremen Rechten wider. Für die Nationalkonservativen der ehemaligen Regierungspartei „FIDESZ“ sind die „inneren“ Feinde der Liberalismus und die kosmopolitische, internationale und urbane Lebenswelt, der Kapitalismus, der Sozialismus und der Universalismus. Durch sie werde die authentische Kultur verwestlicht und fremden Einflüssen ausgesetzt, meinen die Nationalkonservativen: Dagegen müssten der ungarische Geist und die ethnisch begründete homogene Identität verteidigt werden. Die wurzellosen „Fremden“, die ZerstörerInnen der nationalen Kultur, die keine Identität haben, sollen ausgegrenzt werden. Zumeist wird nicht explizit benannt, dass damit JüdInnen gemeint sind.
Die „Ethnisierung“ des „Magyarentums“ erreichte besonders zwischen 1998 und 2002 ihren Höhepunkt, als sie sich hin zu einer nationalen bzw. völkischen Radikalisierung bewegte. Die konservative „FIDESZ“-Partei von Viktor Orbán hatte sich zum Ziel gesetzt, alle extrem rechten Kräfte an sich zu binden. Sie unterstützte deshalb antisemitische Medien. István Lovas, einer ihrer wichtigsten Journalisten, war nicht nur für rechtsextreme Medien tätig, sondern fungierte auch als Verbindungsmann zur extremen Rechten.
Die Einbindung der Rechtsextremen ist „FIDESZ“ 2002 voll gelungen, die Partei verfehlte aber um einige zehntausend Stimmen die Mehrheit im Parlament. 2006 wird in Ungarn wieder gewählt und diesmal bemüht sich „FIDESZ“ nun um die Mitte und sogar um die Linke. An der Feier zum 60. Jahrestag der Befreiung des Budapester Ghettos im Januar 2005 nahm fast die gesamte Führung von „FIDESZ“ teil. Ob dies ernst gemeint oder eine lediglich taktisch bedingte Zurückhaltung ist, wie mancher Beobachter vermutet, wird die nahe Zukunft zeigen.
Regierungsamtlicher Antisemitismus trat in Ungarn schon bald nach dem Ersten Weltkrieg auf. Im von Admiral Miklós Horthy angezettelten „weißen Terror“ wurden 5.000 bis 6.000 JüdInnen und nichtjüdische Linke kaltblütig ermordet. Ungarn führte als erstes Land im Nachkriegseuropa einen „Numerus clausus“ ein, mit dem das Studium von JüdInnen an Hochschulen eingeschränkt werden sollte.
Im Juni 1933 besuchte Ministerpräsident Gyula Gömbös als erster ausländischer Staatsmann Adolf Hitler. Die Beziehungen zwischen Ungarn und dem Deutschen Reich wurden immer enger. Im Jahre 1938, 1939 und 1941 wurden – zum Teil mit Unterstützung der christlichen Kirchen – „Judengesetze“ beschlossen, welche die Rechte der ungarischen JüdInnen einschränkten. Das Parlament schaffte 1942 ohne Debatte die Gleichberechtigung der jüdischen Religionsgemeinschaft mit Zustimmung der christlichen Kirchen ab.
Die deutsche Besetzung Ungarns am 19. März 1944 dehnte die „Endlösung der Judenfrage“ auf Ungarn aus. Ohne den tatkräftigen Einsatz der ungarischen Bürokratie und der Sicherheitskräfte wäre es nicht gelungen, fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Provinz in Ghettos zu konzentrieren, auszurauben und schlussendlich binnen sieben Wochen zwischen dem 15. Mai und dem 6. Juli in Viehwaggons nach Auschwitz-Birkenau zu deportieren. Am 7. Juli verhinderte ein Befehl von Miklós Horthy, der unter dem Druck der Neutralen und der Alliierten stand, die Deportation der Budapester JüdInnen. Am 15. Oktober, nach einem missglückten Versuch, aus dem Krieg auszutreten, übernahmen die pronazistischen Pfeilkreuzler die Macht, die Mordmaschinerie wurde wieder in Gang gesetzt.
Die Rote Armee befreite am 17. Januar 1945 die beiden Budapester Ghettos. Ungefähr 120.000 JüdInnen überlebten, mehr als in jeder anderen Stadt, die in deutscher Hand war. Der Historiker László Varga gibt die Zahl der jüdischen Holocaust-Opfer in Ungarn mit mindestens 550.000 Toten an.
In Ungarn kam es noch nach der Befreiung 1946 zu Pogromen, zum Teil aufgrund der Verbreitung von Gerüchten, dass JüdInnen Ritualmorde begehen würden, zum anderen Teil aber ausgelöst durch „antikapitalistische“ Hetze der Kommunistischen Partei. Während der Zeit der Volksdemokratie befand sich die jüdische Gemeinde – ähnlich den christlichen Kirchen – unter der strengen Aufsicht des staatlichen Kirchenamtes, einer Filiale der politischen Polizei.
Nach der Wende nahm der offene Antisemitismus drastisch zu. Die konservative „Neue Zürcher Zeitung“ hat es am 21. März 2005 auf den Punkt gebracht: „Schon 1990, im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach über vierzig Jahren, kam es in den Medien zu wüsten antijüdischen Ausfällen einzelner Politiker des rechten Spektrums. Heute ist das Phänomen des ungarischen Antisemitismus sehr komplex. Es reicht von öffentlich vorgetragenen, hasserfüllten rassistischen Parolen bis hin zum alltäglichen Gebrauch von Codes, deren antisemitische und antijüdische Anspielungen der Mehrheit der Gesellschaft geläufig sind. [...] Der Anteil der Wähler, die für offen antisemitische Parolen empfänglich sind, dürfte etwa zehn Prozent betragen.“
Zum Neofaschismus in Ungarn vgl. DRR Nr. 66 (2000), S.11ff.
DER RECHTE RAND Nr.96 Sept./Okt. 05
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