“The world is a dangerous place to live in; not because of the people who are evil, but because of the people who don’t do anything about it.”
(Albert Einstein – refugee from Nazi Germany)

Tuesday, January 5, 2010

Völkisch radikalisiert


05.01.2010



BUDAPEST/BERLIN(Bericht vom german-foreign-policy.com) - Wenige Monate vor den Parlamentswahlen in Ungarn, einem der engsten Partnerstaaten Deutschlands in Europa, warnen Beobachter vor einer Radikalisierung der dortigen Politik. Der mutmaßliche künftige Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz-Partei) deutet an, dem deutschen Vorbild folgen und ungarischsprachigen Bürgern der Nachbarstaaten die ungarische Staatsbürgerschaft verleihen zu wollen. Ungarn würde damit bis zu 2,5 Millionen Menschen vereinnahmen. Die völkischen Pläne stoßen schon jetzt auf Widerstand. Im Inland reißt die Radikalisierung, die aus Orbáns Fidesz-Partei heraus betrieben wird, tiefe Gräben auf. Völkischer Antisemitismus und Gewalt gegen Roma nehmen dramatisch zu; der Mythos vom "jüdischen Bolschewismus" "ist in Ungarn lebendiger denn je" und wird auf die jetzige sozialistische Regierung angewandt, berichtet die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky im Gespräch mit dieser Redaktion. Beobachter sagen Ungarn nach Orbáns als sicher geltendem Wahlsieg im April "lange Jahre einer autoritären Herrschaft" voraus. Orbán und seine Fidesz-Partei arbeiten eng mit Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik und mit deutschen Parteien zusammen. Die extrem rechte Partei Jobbik, mit welcher Fidesz gelegentlich kooperiert, feiert inzwischen öffentlich das Staatsoberhaupt der Zwischenkriegszeit, Miklós Horthy - einen Parteigänger NS-Deutschlands.

Wenige Monate vor den ungarischen Parlamentswahlen im April wächst im In- und Ausland die Furcht vor einer weiteren Radikalisierung der völkischen Politik Budapests. Umfragen sagen seit langem einen klaren Wahlsieg von Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei voraus; unklar scheint allenfalls zu sein, ob Fidesz eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erreichen kann. Zudem wird mit einem Wahlerfolg der extrem rechten Partei Jobbik gerechnet, die bei den Europawahlen im vergangenen Juni fast 15 Prozent erreichen konnte. Nicht auszuschließen ist, dass Jobbik zweitstärkste Partei nach Fidesz wird. Für Deutschland hat die Entwicklung aus mehreren Gründen besondere Bedeutung. Ungarn gehört zu seinen engsten Partnerstaaten in Europa, wird wirtschaftlich von der Bundesrepublik dominiert und nimmt in den deutschen Planungen für Südosteuropa eine herausragende Stellung ein. Außerdem betreibt Budapest eine völkische Politik, die den Strategien Berlins in vollem Maße entspricht.

Nach deutschem Modell
Deutlich wird dies vor allem auf dem Feld der Außenpolitik. In mehreren Nachbarstaaten Ungarns (vor allem in Rumänien, der Slowakei und Serbien) leben ungarischsprachige Minderheiten, die Budapest einer besonderen Einflussnahme unterwirft. Modell ist die völkische deutsche Politik, die seit je spezielles Augenmerk auf die deutschsprachigen Minderheiten im Ausland richtet. Berlin unterhält eine Abteilung im Bundesinnenministerium, die sich den "deutschen Volksgruppen" im benachbarten Ausland widmet. Zudem hat die Bundesregierung vielen Angehörigen deutschsprachiger Minderheiten deutsche Papiere verliehen. Rund 200.000 Bürger Polens etwa besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Ein identisches Vorgehen zieht nun Viktor Orbán in Betracht. Demnach könnten bis zu 2,5 Millionen Bürger Rumäniens, der Slowakei, Serbiens und weiterer Staaten die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten. Schwere Spannungen werden insbesondere zwischen Budapest und Bratislava erwartet, die bereits 2009 heftige Konflikte austrugen, weil Ungarn in wachsendem Maße Ansprüche bezüglich der ungarischsprachigen Minderheit in der Slowakei erhebt.[1] Schon jetzt urteilt die slowakische Regierung, es bestehe für die Zeit nach den ungarischen Parlamentswahlen ein "besonders hohes Risiko ansteigender Spannungen".[2]

Die Heilige Ungarische Krone
Die Verschärfung der völkischen Außenpolitik nach deutschem Modell geht bei Orbán und Fidesz mit einer Radikalisierung im Innern einher. Wie die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky vom Institut für Politikwissenschaften der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gegenüber dieser Redaktion erläutert, besitzt dabei eine völkisch-mythische Lebensraumideologie aus dem 19. Jahrhundert große Bedeutung - die "Lehre von der Heiligen Ungarischen Krone". Diese "Lehre" beschreibt das "ungarische Volk" inklusive der "Auslandsungarn" als völkisch-mythische "Einheit". Sie prägte Ungarn besonders zwischen den Weltkriegen. Heute betrachten erneut sämtliche "rechtsnationalen Gruppierungen die Lehre von der Heiligen Ungarischen Krone und nicht die demokratische Verfassung als geltende Rechtsgrundlage", berichtet Marsovszky.[3] Auf dieser völkischen Basis nimmt zur Zeit nicht nur die Gewalt gegen Roma, sondern auch der Antisemitismus dramatisch zu. So ist etwa "der antisemitische Mythos vom 'jüdischen Bolschewismus' in Ungarn lebendiger denn je", schildert Marsovszky; er wird in völkischen Kreisen auch auf die regierenden Sozialisten, eine de facto sozialdemokratische Partei, angewandt. Marsovszky zufolge verlangt eine Fidesz-Abgeordnete, die sozialdemokratische "Schädlingsregierung wegzuputzen". Details über die völkische Ideologie und über den strukturellen Antisemitismus bei Fidesz und im unmittelbaren Parteiumfeld schildert Magdalena Marsovszky im Interview mit german-foreign-policy.com.

Autoritäre Herrschaft
Beobachter sagen Ungarn nach Orbáns als sicher geltendem Wahlsieg im April eine düstere Zukunft voraus. "Auf Ungarn dürften lange Jahre einer autoritären Herrschaft zukommen", schrieb unlängst das prominente österreichische Nachrichtenmagazin "Profil" [4]: "Der neue Premier wird die Macht in seinen Händen konzentrieren. Die Justiz, das Finanzamt und die meisten Medien werden auf sein Kommando hören oder ihm ungefragt Gehorsam leisten. (...) Patriotismus wird Bürgerpflicht." In diesem sozialen Klima werde sich auch die extrem rechte Partei Jobbik bestens entfalten können, ist zu hören. "Die rechte Mitte", urteilt der Publizist Tamás Mészáros, "hat sich dank der Anstrengungen des Fidesz fortlaufend radikalisiert. Sie ist nunmehr mit ihren radikalen Rändern zusammengewachsen."[5]

Partner
Viktor Orbán und die Fidesz-Partei arbeiten eng mit Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik und mit deutschen Parteien zusammen. Die Budapester Außenstelle der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zählt den Fidesz zu ihren Kooperationspartnern. Die Fidesz-nahe Stiftung für ein bürgerliches Ungarn (Polgári Magyarországért Alapítvány, PMA) wurde mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung gegründet - auf einem Festakt in der Budapester Gyula-Andrássy-Universität, die in Kooperation mit staatlichen deutschen Stellen errichtet wurde und eng an Berlin gebunden ist. Fidesz ist Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP), in der die deutschen Parteien CDU und CSU eine recht starke Stellung innehaben, und in der EVP-Fraktion im Europaparlament. Im Europaparlament stellt Fidesz darüber hinaus ein Präsidiumsmitglied.

Feinde Ungarns
In Ungarn arbeitet der eng mit deutschen Organisationen kooperierende Fidesz auf kommunaler Ebene mit der extrem rechten Partei Jobbik zusammen, in deren Gründung Magdalena Marsovszky zufolge Fidesz-Kreise involviert gewesen sind.[6] Jobbik ist mittlerweile dazu übergegangen, den ehemaligen Horthy-Faschismus in aller Öffentlichkeit zu preisen. Am 22. November nahmen an die 2.000 Personen an einer Kundgebung in Budapest teil, die Jobbik zum 90. Jahrestag des Einmarschs von Miklós Horthy in Budapest abhielt. Dabei wurde Horthy, der sich nach seinem Einmarsch als "Reichsverweser" an die Spitze des ungarischen Staates gesetzt hatte, wegen seiner "Austreibung" der Kommunisten und "anderer Feinde Ungarns" als Held und als Vorbild für eine künftige völkische Regierung in Budapest gefeiert.[7] Horthy hatte sich außenpolitisch eng an NS-Deutschland angelehnt und im Schutz und mit Unterstützung des Deutschen Reichs unter anderem die Wohngebiete der ungarischsprachigen Minderheiten in der Slowakei und in Rumänien annektiert.

Bitte lesen Sie auch unser Interview mit Magdalena Marsovszky.

Weitere Informationen über die deutsch-ungarische Kooperation finden Sie hier: Konkurrenz der "Halsabschneider", Wert der Waffen, Besser als wir, Paneuropa-Picknick, Wahnsinn, Revision der Geschichte, Verdienstorden, Die zweite Welle, "Transsilvanien ist unser", Magyarentum, Ein besonderes Verhältnis, Moralisch und materiell, Nicht zum ersten Mal, Ein Zeichen der Freundschaft, Das deutsche Bluts-Modell, Ethno-Loyalität und Drohbrief aus Berlin.

[1] s. dazu Nicht zum ersten Mal
[2] Fico skeptisch gegenüber Orbán; volksgruppen.orf.at 31.12.2009
[3] s. dazu "Lebensraum Karpatenbecken"
[4], [5] Gregor Mayer: Versinkt Ungarn im Faschismus? Populist Viktor Orban greift nach der Macht; www.profil.at 14.12.2009
[6] s. dazu "Lebensraum Karpatenbecken"

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Original: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57706

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